Interview mit Commodore Skyla Lyma

Rosita Dackel: Liebe Leserinnen und Leser, seit meiner Ankunft hier auf der Station Midgard, hat sich hier eine ganze Menge getan. Das ist vor allem des unermüdlichen Einsatz unserer tapferen Frauen und Männer der Sternenflotte zu verdanken, aber auch dem nicht minder eifrigen Einsatzes der vielen Leute hier auf Midgard, die nach dem Abschütteln ihres Jochs daran gegangen sind, ihr Leben und das ihrer Nachbarn, Freunde und Verwandte zu verbessern.
Kommandantin der Station Midgard, ja, man möchte manchmal sogar sagen, des Unternehmen Midgard, ist eine Frau, die schon früher als unerschrockene Kommandantin in der Sternenflotte von sich reden gemacht hatte.

*wendet sich ihrer Gesprächspartnerin zu*

Rosita Dackel: Heute sind wir hier zu Gast im sogenannten Nervenzentrum unserer Station Midgard des Combat Information Centers oder auch CIC oder schlicht „die Zentrale“. Unsere Gesprächspartnerin ist die Kommandantin der Station, Commodore Skyla Lyma, die sich freundlicherweise bereit erklärt hat, uns für ein exklusives Interview einen Moment ihrer knapp bemessenen Zeit zu schenken.
Commodore Lyma, vielen Dank, dass wir uns hier in ihrem persönlichen Arbeitsraum mitten im Herzen der Station treffen dürfen.

Commodore Skyla Lyma: Herzlich gern, Miss Dackel.

Rosita Dackel: Commodore, wie fühlt man sich, wenn man wie Sie nach einer gewissen Ruhephase, die Sie sicherlich zur Auffrischung ihrer Kräfte genutzt haben, wieder an den Schalthebeln der Macht, dieses Mal sogar über einen ganzen Raumsektor sitzt?

Commodore Skyla Lyma: Eine gute Frage. Aber ganz ehrlich, eine, die ich ihnen nicht beantworten kann. Nach dem letzten Kampfeinsatz hatte ich einen Auftrag auf der Erde, das ist zwar richtig, aber entspannend? Hängt davon ab, was sie als entspannend betrachten. Eine Frage der Definition.
Im Endeffekt egal, auch wenn es diesmal eine Station ist, so fühlt es sich doch gut an, endlich wieder ein vernünftiges Deck unter den Füßen zu haben.

Rosita Dackel: So spricht eine echte Kommandantin der Sternenflotte.
Commodore Lyma, als solche sind Sie ja keine unbekannte Größe. Sie haben längere Zeit als Captain ein eigenes Schiff kommandiert, die USS Odyssey und davor sehr lange USS Achilles. Die Achilles wurde aber noch unter Ihrem Kommando aus dem aktiven Betrieb ausgemustert. War das schwierig für Sie?

Commodore Skyla Lyma: Rückblickend auf meine Laufbahn in der Sternenflotte war der Verlust der Achilles nach dem Verlust von Leben wohl der schwerste Schlag, den ich verkraften musste. Die Achilles hat sich in den vielen Jahren, in denen ich sie kommandiert habe, von einem Schiff zu einer Freundin entwickelt. Und Freunde zu verlieren, die einem wieder und wieder das Leben gerettet haben… das ist schwer.

Rosita Dackel: Ein Schiff als Freundin. Das ist schon bemerkenswert. Aber so etwas hört man häufig von Führungsoffizieren der Flotte. Sicherlich eines der Geheimnisse, die man als Außenstehender zwar hört, aber niemals wirklich verstehen kann.
Sie sprachen vom Verlust von Leben. Die Kampfeinsätze, die Sie mit Ihrem Schiff geflogen haben, waren immer sehr schwer gewesen. Jedoch sagt man, dass Sie ihr Schiff und ihre Besatzung nach Möglichkeit immer wieder heil nach Hause gebracht haben. Galt das für den letzten Einsatz der Achilles nicht?

Commodore Skyla Lyma: Man sagt mir nach eine der besten Kampfkommandantinnen der Flotte zu sein. So etwas ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Wen schickt man dorthin, wo zu erwarten ist, dass dort geschossen wird? Jemanden, von dem man erwartet, dass er damit umgehen kann. Wer kann damit umgehen? Jemand, auf die schon geschossen wurde und der überlebt hat. Die Achilles bekam so immer die schwierigen Aufgaben, musste die Jobs erledigen, an denen andere gescheitert waren, oder die keiner sonst machen wollte.
Es war daher nicht ungewöhnlich, wenn ich mein Schiff verwundet nach Hause gebracht habe – das war schon fast so etwas wie ein Running Gag. Aber wenn ich so auf die letzten Jahrzehnte zurück blicke… Nein, ich kann mich tatsächlich an keine Mission erinnern, von der ich die Achilles unverwundet heimgebracht habe. Nur heim habe ich sie immer gebracht. Die letzte Mission vor ihrer Ausmusterung aus dem aktiven Sternenflottendienst war da auch keine Ausnahme.

Rosita Dackel: Nach der Achilles, der Odyssey und der von Ihnen erwähnten Mission auf der Erde wurde Ihnen nun die Sternenbasis 61 – Midgard unterstellt, auf der wir uns hier jetzt befinden. Als Sie aber diese Station unterstellt bekamen, war sie zwar theoretisch Eigentum der Sternenflotte, befand sich aber praktisch im Besitz einer Gruppe Piraten, den sogenannten Grim Guardians. Über diese Organisation wurde ja schon berichtet. Dennoch kann ich mir vorstellen, dass eine solche Aufgabe, also die Rückeroberung einer Sternenbasis der Wachturm-Klasse, ein sehr diffiziles Unternehmen gewesen sein musste. Was geht einem durch den Kopf, wenn man junge Frauen und Männer in solch einen Einsatz führen muss?

Commodore Skyla Lyma: Jedesmal das Gleiche: „Hoffentlich kommen sie alle zurück“. Dank der modernen Medizin hofft man inzwischen schon nicht mehr auf „heil zurück“, denn wenn Sie es lebend auf eine Krankenstation schaffen, kann man davon ausgehen, dass Sie auch ohne bleibende Schäden überleben. Aber ich sage ihnen eines: Wenn sie mir einen Kommandanten zeigen, der leichtfertig und ohne innere Zweifel seine Crew in den möglichen Tod schickt, dann zeige ich ihnen ein Monster, das seinen Job nicht verdient.

Rosita Dackel: Eine deutliche Aussage, die aber von einer gewissen Sensibilität zeugt. Nun, inzwischen ist die Station Midgard ja wieder fest in föderierter Hand. Ich nehme jedoch nicht an, dass Sie sich besonders ausruhen können. Was sind jetzt die wichtigsten Schritte, die eingeleitet werden müssen?

Commodore Skyla Lyma: Immer noch die selben wie von Anfang an. Die Hausbesetzer haben die Station herunterkommen lassen, haben nicht nur das Drumherum nicht gewartet, sondern auch den Kern verfallen lassen. Wir müssen von strukturellen Bauteilen bis hin zu optischen Verblendungen praktisch alles erneuern. Dabei sitzt uns die Zeit im Nacken.
Die wichtigste Hürde scheinen wir aber zumindest zum großen Teil genommen zu haben: Die Bewohner der Station, die ja, wie sie sicher wissen, jahrelang von den Hausbesetzern gegen die Föderation aufgewiegelt worden sind, sehen inzwischen, dass doch nicht wir die Monster sind, sondern die Grim Guardians.

Rosita Dackel: „Hausbesetzer“ ist sicherlich ein eher harmloser Ausdruck, wenn man bedenkt, dass diese Grim Guardians Piraten und damit Mörder und Verbrecher sind. Der Begriff „Monster“ scheint mir da doch eher angemessen, vor allem, wenn man bedenkt, was so über den Kampf zur Rückeroberung der Station zu hören war.
Nun sollen aber Gerüchten zufolge sogar einige ehemalige Größen dieser Grim Guardians unter ihrem neuen Stationspersonal zu finden sein. Wie passt das zusammen mit dem Terror, den diese Leute zuvor im gesamten Raumsektor verbreitet haben? Ist das eine Folge der steten Personalknappheit, oder ist das eher ein taktisches Manöver? Also, „der Feind in meinem Blickwinkel“ ist besser, als „der Feind außerhalb meines Sichtfeldes“? Oder haben diese Leute tatsächlich und nachvollziehbar ihre Seiten gewechselt? Würden Sie also Ihre Hand für diese Leute ins Feuer legen?

Commodore Skyla Lyma: Wir reden hier rein hypothetisch, aber wenn eine – wie nennen sie es? – Größe der Guardians sagen würde, sie will die Seite wechseln, dann würde ich das mit sehr viel Misstrauen aber Goodwill sehen. Wobei wir hier wieder bei dem Punkt vom Anfang unseres Gespräches sind. Definition. Was ist eine Größe der Guardians für Sie? Ein Truppführer? Ein Raumschiffscaptain? Einer, der eine Kolonie, eine Station oder einen Asteroiden befehligt? Die Guardians hatten hier ein großes Raumgebiet unter ihrer de facto Kontrolle, da gibt es mehr als eine Ebene in ihrer Hierarchie. Wir wissen zum Beispiel bis heute nicht, wer der große Boss ist. Wir wissen, dass er sich Crimson Dawn nennt, aber ob das ein Mann oder eine Frau, jung, alt, menschlich, Methanatmer oder vielleicht gar ein Komitee ist, das wissen wir noch immer nicht. Da geht es uns aber zum Glück so, wie den übrigen Guardians auch. Angeblich kennt nur eine sehr exquisite Runde „den Chef“ persönlich.

Rosita Dackel: Dennoch würden Sie eine Zusammenarbeit mit Mitgliedern, auch Anführern der Piraten, nicht ausschließen, sollten diese bereit sein, die Seiten zu wechseln? Bedeutet das, dass denen dann auch ihre früheren Verbrechen vergeben werden? Und, die große Frage, die sich immer stellt: Haben Sie als Kommandantin über diesen Raumsektor hier auch die Befugnis dazu, eine entsprechende Amnestie auszusprechen?

Commodore Skyla Lyma: Momentan bin ich neben meiner Funktion als militärische Kommandantin auch die oberste zivile Instanz in diesem Sektor. Solange jedenfalls, bis die Regierung jemanden schickt, der mir diesen Job abnimmt. Also, ja, soweit die Gesetze der Föderation es erlauben kann ich auch Begnadigungen aussprechen. Ob ich einen übergelaufenen Grim Guardian allerdings begnadige hängt immer vom Einzelfall ab. In den Augen der UFP und folglich auch nach den hier geltenden Gesetzen sind die Guardians eine kriminelle Vereinigung, sowas wie das Orion Syndikat in klein, wenn sie so wollen. Die entsprechenden Gesetze kommen also zur Anwendung, bis hin zur Kronzeugenregelung. Aber seien sie sich sicher, dass ich nach heutigem Stand keinen Mörder oder sonstigen Gewaltverbrecher begnadigen würde. Aber wie auch die Geschichte der Erde schon gezeigt hat, muss man manchmal einen Schlussstrich ziehen und von Null beginnen, um die Vergangenheit hinter sich lassen zu können.

Rosita Dackel: Wechseln wir einmal das Thema und verlassen die Grim Guardians, um uns dem eigentlichen Zweck dieser Sternenbasis zuzuwenden. Laut Einsatzdoktrin der Station Midgard ist sie ja wieder in aktiven Betrieb genommen worden, damit eine oder mehrere diplomatische Vertretungen fremder Völker hier – wie heißt es noch – „ihre Heimat finden können“. Mögen Sie uns verraten, Commodore, wer diese fremden Völker sein werden und wann voraussichtlich deren Vertreter auf Midgard eintreffen werden?

Und – gleich hinterhergeschoben – was glauben Sie, werden diese Vertreter fremder Völker empfinden, wenn sie den gegenwärtigen Status der Station Midgard bemerken?

Commodore Skyla Lyma: Es ist kein Geheimnis, dass die Station wieder in Betrieb genommen wurde, um den Kikonen und den Tene Hito, beides humanoide Völker mit von der Föderation sehr unterschiedlichen Gesellschaftsstrukturen, eine diplomatische Heimat zu bieten. Zumindest die Kikonen haben zwar Handlungsbevollmächtigte auf der Erde, aber beide Völker wollen ihre ständigen Vertretungen aus ihren eigenen Gründen nicht dort haben. Für die Kommunikation mit der Regierung der Föderation ist das vielleicht etwas umständlich, aber wie sie wissen, versucht die Föderation immer auf die speziellen … lassen Sie es mich Bedürfnisse nennen… anderer Völker einzugehen. Der erste Versuch, das auf einem Schiff zu machen ist, wie sie wissen, kläglich gescheitert. Aber die Föderation hat nicht aufgegeben und eine hoffentlich für alle zufriedenstellende Lösung gefunden. Die Föderation empfängt die Vertreter der fremden Regierungen diesmal mit einem hochqualifizierten Diplomaten aus dem Außenministerium in Paris, was hoffentlich das Involvement der Sternenflotte diesmal auf ein Minimum beschränken wird.

Rosita Dackel: Das ist in der Tat interessant. Dieser Diplomat, wir fragen nicht nach dem Namen – dieser wird uns sicher zu gegebener Zeit verraten werden, ist ja sicherlich schon an Bord und bereitet sich ebenso eifrig auf seine Mission vor, wie auch Sie diese ganze Station auf ihre eigentliche Mission vorbereiten. Die Frage, die sich dabei jedoch stellt, wird die Station ebenso bereit sein wie der Diplomat? Wie viel Zeit bleibt Ihnen denn noch bis zum Eintreffen der Delegationen? Oder werden Sie sich hier fleißig aus der Trickkiste bedienen und improvisieren müssen?

Commodore Skyla Lyma: Ihre Vermutung dazu ist so gut, oder vielleicht sogar besser, als meine. Aber was den Rest angeht: Wir arbeiten auf Hochdruck daran, die oberen Decks wieder in ihren glanzvollen Zustand zurück zu versetzen. Das terrestrische Deck wird dabei, wie ursprünglich geplant, den Stationsbewohnern und der Crew vorbehalten bleiben, aber die darunter liegenden Decks, vornehmlich Deck 2 und 3, sind für die Diplomaten vorgesehen und werden auch entsprechend aufwändig und schnell renoviert.
Selbstverständlich werden wir versuchen den Diplomaten eine perfekte Station zu zeigen, aber ich präsentiere auch gerne ein potemkinsches Dorf, wenn es sein muss.
Am Ende wird es wohl darauf hinauslaufen, den Diplomaten eine funktionierende Station zu zeigen. Ein paar Ecken und Kanten werden sie hoffentlich nicht stören, aber selbst wenn…
*Raubtierlächeln der CO* …ist das primär  ein Job für den ortsansässigen Diplomaten der Föderation.
Andererseits kann man wohl davon ausgehen, dass man keine Idioten als Botschafter zu uns schicken wird.
Wir wissen ja, dass die Station zwar nicht fabrikneu ist, wenn unsere ersten Gäste kommen, aber sie ist für ihre Zwecke gut geeignet. Und es wird es ja jeden Tag besser.

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Rosita Dackel: Commodore Lyma, ich danke Ihnen, dass Sie sich die Zeit für uns genommen haben. Vor allem, wo wir nun wissen, dass Sie sicherlich jede Minute davon dringend benötigen, um ihre mannigfaltigen Aufgaben hier zu erledigen. Möchten Sie noch einen letzten Satz sagen?

Commodore Skyla Lyma: Zuerst, ich bedanke mich für das Gespräch. Gerade in einer so heiklen Situation ist es immer gut, auch positive Entwicklungen mit den Bürgern der Föderation zu teilen. Und ich sehe die Midgard und ihr Potential als strahlendes Leuchtfeuer dessen, was der eigentliche Zweck der Vereinigten Föderation der Planeten ist.

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