„In der Not frisst der Teufel Autokraten“
Ein so großes interstellares Konglomerat an Sternensystemen, entsprechend dazu passenden Kulturen und Gewohnheiten wie das der Vereinigten Föderation der Planeten ist schon etwas bemerkenswertes. Über 150 Mitgliedswelten, über 1000 Kolonien haben sich darin zusammengefunden, um sich kulturell, wissenschaftlich, aber auch verteidigungspolitisch einander zu unterstützen. Auf einer Fläche von 8000 Lichtjahren leben so über 900 Milliarden Lebewesen und teilen sich dabei eine Ideologie, einen Lebensweg, der ihr Handeln bestimmt und ihnen als moralischer Kompass dient. Es sind diese Werte, die ein gemeinsames Leben unter dem Dienst des Sternenbanners möglich machen. Jeder Bürger der Föderation hat sie, diese grundlegenden Rechte auf Freiheit, Unversehrtheit, Respekt vor der Existenz, Selbstbestimmung, Glaubensfreiheit, eine freie Meinung oder ein demokratisches Wahlrecht, ganz gleich, ob es sich dabei um verschwindend kleine Minderheiten handelt oder nicht. Es sind diese Ideale des gemeinsamen Lebens, die so definieren können, was in diesem riesigen Universum überhaupt Leben ist und wie damit umzugehen ist. Ob nun Ba’ku, Exocoms oder Androiden, die Vergangenheit zeigte immer wieder auf, dass eben jene Werte sogar kleine Gruppen bis hin zum einzelnen Individuum schützen können und ihnen Gerechtigkeit zukommen lassen können. Und deswegen wird jede Kultur, die Teil dieser Föderation der Planeten sein will, auch auf Herz und Nieren geprüft, ob sie für solch einen Lebensweg kompatibel sind oder ob ihre kulturelle Entwicklung noch nicht den Status der Föderativen Magna Carta erreicht hat.
Und dennoch prallt in schweren Zeiten jene Ideologie auch immer aufs Neue auf den Realismus. Vor allem in Zeiten großer Kriege wie dem aktuellen Konflikt mit den Klingonen zeigt sich, dass man bei seiner Wahl der Alliierten immer wieder aufs Neue Kompromisse eingehen muss. Es gibt viele Planetensysteme, deren technologische Entwicklung, sei es auf wissenschaftlicher Basis oder auf militärischer dem gemeinen Standard der Föderation in nichts nachstehen oder sie sogar übertreffen. Auf Idealistischer Basis ist eine Zusammenarbeit mit diesen Kulturen nicht denkbar, dennoch lässt es der Moment oftmals nicht anders zu, dass man auf den Bonus deren Errungenschaften leichtfertig verzichten könnte. So zeigt man sich gerne tolerant und freundlich, mischt sich aber auch nicht in die Angelegenheiten dieser Kulturen ein. Und dennoch lebt man gerne in der Rolle des Ideals und versucht solchen Kulturen Anreize zu bieten, die Ideologie der Sternenflotte sich selbst zum Vorbild zu nehmen. Ein solches Mittel ist der kulturelle Austausch und dazu werden immer wieder in der ganzen Galaxie Seminare zur Kulturverständigung abgehalten. Dabei geht es nicht nur darum, die Ideologie der Sternenflotte als das Non-plus-Ultra zu verkaufen, sondern auch andere Kulturen besser kennen zu lernen und damit auch Aspekte zu begreifen, die einem dabei helfen, die eigene Lebensart zu hinterfragen und am Ende bestenfalls mehr aus sich zu machen. Getreu dem Motto – sei nicht Vorverurteilend. Sei neugierig.
Bei solch einem Seminar auf Sternenbasis 621 wurde jüngst aber die Bereitschaft zur Neugier und Toleranz auf eine harte Prüfung gestellt, wenn nicht gar gänzlich an ihre Grenze getrieben. Die Ankündigung klang zunächst verführerisch. Unter der Leitung der Botschafterin Eroika Nikitidis Selene atto Loutra markia Kikon sollte man einen Einblick in die Lebenswelt der Kikonen erhalten. Vor etwa zweihundert Jahren gab es ein erstes Mal Kontakt zu diesem Volk auf und seitdem wussten sie zu beeindrucken, sei es durch Dichtkunst, Drama, Bildhauerei, Musik, aber auch Architektur und eine beeindruckende Körperkultur. Im Jahre 2415 konnte die USS Hephaistos zum ersten Mal in diplomatischer Angelegenheit deren Heimatwelt Thyene besuchen und zeigte sich auch entsprechend beeindruckt. Nach diesem Seminar dürfte der Wunsch der Föderation, sich enger an das Volk der Kikonen zu binden, jedoch einen herben Dämpfer erhalten haben. Und so, wie es aussieht, gilt das auch für das Kikonische Volk. Doch was geschah genau bei diesem Vortrag?
Schon die Wahl der Seminarleitung hatte den Geschmack von „Weil sonst ja keiner da ist.“ Botschafterin Eroika Nikitidis Selene dient seit einigen Monaten als Austauschoffizier auf der USS Galathea. Sie gilt als solche noch sehr jung und unerfahren im diplomatischem Dienst und hat Gerüchten zufolge auch durchaus noch Probleme, alle kulturellen Eigenschaften der Sternenflotte zu verinnerlichen. Doch sonst war aus dem Kikonischen Reich offensichtlich niemand für solch ein Seminar zu motivieren, weswegen man also sich auf die Ausführungen dieses „Greenhorns“ begrenzen musste. Die Botschafterin begann ihren Vortrag sogleich damit, die Unterschiede beider Kulturen aufzuzählen und begann gleich mit Hirachie und korrekte Anrede. Entsprechend machte sie auch klar, dass sie auf ihre kikonische Anrede Eromeni bestand und reagierte in Folge sehr dünnhäutig, wenn man diese für die meisten sehr ungewohnte Anrede nicht gleich verinnerlicht hatte. Dass dieses Eromeni im „Dako“ – der Sprache der Kikonen – „Herrin“ heißt und damit gleich suggeriert, dass man damit eine höhergestellte Person anspricht, während eben jene Eromeni für das „niedere Volk unter sich“ ganz andere Anreden parat hat, ließ gleich einmal tief blicken.
Auch die folgenden Beispiele dienten offensichtlich nur dazu, offen zu legen, dass „Kikonen anders sind.“ An dieser Stelle hätte sie aber auch die Katze beim Namen nennen können. Nicht anders, sondern „überlegen“. So hätte das Volk der Kikonen ja längst das Universum besiedeln können, hätten dann aber für sich festgestellt, dass es zuhause ja am schönsten wäre und hätten deswegen ihre Expansionspläne wieder eingestellt. Natürlich wäre es zuhause am schönsten gewesen, weil man im Gegensatz zu den meisten Kulturen die inneren Probleme der Gesellschaft auf dem Heimatplaneten hätte lösen können. Die genauen Worte waren „Was sollten wir in die Ferne schweifen, wenn alles, was wir dort draußen vorfanden uns entweder feindlich gesonnen war, uns missverstand oder uns nicht gefiel?“
In dieser Aussage lag sehr viel Xenophobie und gleichermaßen Arroganz. Denn von vornherein davon auszugehen, dass in den unendlichen Weiten des Universums nichts zu finden sei, was den eigenen Horizont erweitern könnte, dürfte den meisten Föderationsmitgliedern kaum nahezulegen sein. Die weiteren Ausführungen ließen aber auch den Eindruck zu, dass Selbstreflektion nicht zu den Stärken des Kikonischen Volkes gehörten. Denn das, was in den Augen der Botschafterin das Kikonische Leben so viel besser machte, war vielen anderen Kulturen sehr wohl bekannt. Genau genommen war es sogar der Botschafterin bekannt, dass es anderen Kulturen bekannt war. Das, was das Leben der Kikonen bestimmt, war jedoch wegen ihrer darin liegenden Ungerechtigkeiten von den meisten anderen Kulturen als Ungerecht erkannt und abgeschafft worden. Und so lief den meisten Gästen wohl ein Schauder über den Rücken, als sie dann erfuhren, mit welchen Methoden eben jene sozialen Probleme auf dem Heimatplaneten Thyene gelöst wurden. Autokratisch, Aristokratisch, Freiheiten unterdrückend.
So ist das Kikonische System das eines imperialen Matriarchats. Frauen haben hier die Macht, Männer… dürfen salopp gesagt Harfe spielen. Das wars. Die Botschafterin wurde nach ihrem Vortrag auch konkret auf die Rolle des Mannes auf Thyene angesprochen. Merrick Lavigne vom Daily Inquirer erwähnte dabei lobend die Heldinnen der Frauenbewegung, welche in einem jahrhundertelangen Kampf eine Gleichberechtigung und Gleichbefähigung erreichten. Die Reaktion darauf war alarmierend. Denn im System Tassos würden solche Freiheitskämpfer hart bestraft. Exil nicht nur für den Mann, sondern die ganze Familie wurde für die Taten in Sippenhaft genommen. Allein die Frage des Pressevertreters schien für die Kikonin eine Beleidigung gewesen zu sein, denn sie gab dem Mann – wohlgemerkt ein Mensch – danach unmissverständlich zu verstehen, dass er sie gefälligst mit Herrin anzureden habe. Es folgte erst eine sexistische Bemerkung über die Figur des Reporters, dann eine Form reinsten Whataboutismusses, in dem sie ja erwähnte, dass bei den Menschen bestehende Matriachate ja auch mit Gewalt beseitigt wurden (dabei sein angemerkt, dass diese Matriachate auf frühe Siedlungen in Mesopotamien, Vinca-Kulturen, Banderamische und Minoische Kulturen zurückzuführen sind und daher satte 5000 Jahre zurück liegen) und bestätigte dann wütend, dass ihre Kultur stolz darauf sei, jegliche Veränderung mit harter Hand zu verhindern.
Angesprochen auf einen Vorfall bei eben jenem Treffen mit der USS Hephaistos, wo einer dieser „seit Äonen“ (Wortlaut Botschafterin Selene) glücklich rechtlos lebender Männer die erstbeste Gelegenheit nutzte, um – ganz unerwartet – sofort aus diesem System auszubrechen, wurden dann die Ideale der Föderation auch noch als Parasitär bezeichnet. Genau übersetzt Psylloi, was so viel wie „Mückenstich“ heißt. Im großen Finale ihres Wutausbruches bezeichnete sie dann das Gedankengut der Föderation als Virus oder Bakterium, welches bekämpft werden müsse.
Weiteren Fragen wurden dann ungenaue Antworten gegeben. So fragte Lieutenant Osric Bentzen von der Sternenflotte folgend sinngemäß, ob man in Anbetracht dieser Denkweise sicher sein könne, dass es sich bei den Kikonen wirklich um Alliierte handeln könne. Die Botschafterin beantwortete dies aber nur mit einer Zusammenfassung der Ereignisse beim Treffen mit der USS Hephaistos.
Viele weitere Fragen der Presse folgten, doch statt sich auf die positiven Eigenschaften der Kultur einzulassen – so ging der Vortrag über 30 Minuten und beinhaltete auch viele durchaus interessante Aspekte – drehten sich die Fragen im Subtext tatsächlich nur noch um eine Frage – wie soll unter diesen ideologischen Differenzen überhaupt eine gemeinsame Basis zur Zusammenarbeit gelingen? Fest stand, dass Botschafterin Selene – oder wie auch immer sie auch genannt werden will – darauf keine Antwort geben kann und will. Und es dürfte dem Captain der USS Galathea, Aleksander Solowyov sicher einiges an Überzeugungsarbeit kosten, um dieser Frau die Vorzüge der Föderation klar zu machen.
Doch den meisten Gästen dieses Seminars dürfte der Eindruck entstanden sein, dass eine wirklich verlässliche Allianz mit den Kikonen wohl mit „Aussichtslos“ noch nett beschrieben war. Die ideologischen Unterschiede zeigten sich an diesem Abend diametral. Wie oft hatte man diese Methoden autokratischer, faschistischer Systeme schon erlebt. Es war immer das gleiche. Gehirnwäsche durch Repression, Auditing, welches Worte wie „Kritiker“ durch Worte wie „Terrorist“ ersetzt, eine Regierung, die mit Furcht regiert, nicht mit Güte und Weitsicht. Diese Systeme sind früher oder später alle gefallen. Ob und wann es mit der Kikonischen Tyrannei vorbei ist oder ob dies vielleicht sogar wirklich nur eine Schilderung einer überforderten Kikonischen Extremistin war und nicht repräsentativ für ihr ganzes Volk steht, dies wollen wir hier bei der Prawda nicht beurteilen müssen. Sollte das Leben der Kikonen jedoch tatsächlich so repressiv sein, wie von Botschafterin Selene beschrieben, dann stellt sich für die Föderation sehr wohl die Frage, ob der Zweck die Mittel heiligt. Dankbarkeit darüber, dass die USS Hephaistos den Kikonen gegen eine Invasion der Klingonen aktiv half, klingt definitiv anders. Offensichtlich wollen die Kikonen eigentlich keine Allianz mit der Föderation, gegen die Klingonen scheinen sie aber dann doch ganz nützlich zu sein. Wer weiß, wenn die Kikonen ach so gerne doch lieber alleine nahe der Klingonischen Grenze existieren wollen, vielleicht sollte man dann einfach ihren Wunsch lassen. Botschafterin Selene hingegen wünschen wir noch eine schöne Zeit auf der USS Galathea. Passen sie gut auf sich auf, wir wollen ja nicht, dass sie am Ende noch ihren Horizont erweitern müssen.
C. Ovid – Prawda
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